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Ohne Liebe ist alles nichts

Corbin Gams

Ohne Liebe ist alles nichts

Die Liebe drückt sich in vielen Facetten aus: in der Liebe zu anderen Menschen – den Eltern, Geschwistern, Freunden –, der Liebe zu uns selbst, zu einem Ideal, zu unserem Beruf, unserer Lebensaufgabe, zu Gott und zum Leben an sich. Sie ist eine positive Haltung, mit der wir dem Leben, uns selbst und unseren Mitmenschen begegnen.

Zweifelsohne ist die Liebe die Kraft in unserer Seele. Eine gewaltige positive Triebkraft, die uns antreibt und uns Großes vollbringen lässt. Sie führt uns heraus aus der Einsamkeit und baut Brücken zwischen Menschen auf. Sie ist ein intensives Gefühl gegenseitiger Wertschätzung, Zuneigung und Verbundenheit und auch Ursprung des höchsten Glücks. Sie ist letztendlich das, was die Welt zusammenhält.

Ohne Liebe ist alles nichts – ein Dasein geprägt von Hass, Neid oder Gleichgültigkeit wäre alles andere als lebenswert. Wo die Liebe im Leben fehlt, breitet sich ein dunkles Gefühl der Gleichgültigkeit, der inneren Leere und Sinnlosigkeit in der Seele aus. Und dennoch streben viele Menschen heute mehr nach materiellem Erfolg, Macht und Sex als nach wirklicher, authentischer Liebe. Schon Albert Schweitzer wusste: „Das einzig Wichtige im Leben ist die Spur der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.“ Oder wie Wilhelm Busch es ausdrückte: „Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir liebten.“ Das Leben ist kurz, und auch wenn vielleicht viele von uns aufgrund von Verletzungen und aus Angst vor weiteren Enttäuschungen ihr Herz verschlossen haben, ist es nie zu spät, sich der Liebe zu öffnen.

Die Liebe eingeschrieben im menschlichen „Bauplan“
Doch viele Menschen haben eine falsche Vorstellung von der Liebe. Das beginnt oft bei der Erwartungshaltung an den Traumpartner. Häufig lieben wir nur die romantische Idealvorstellung unseres Partners und nicht den Menschen, der er wirklich ist – mit all seinen Stärken und Schwächen. Auch übertragen wir unbewusst viele ungelöste Probleme der Kindheit, die zu Gefühlen wie Ärger, Eifersucht und Angst führen, auf den Partner. Andere wollen geliebt werden, Wertschätzung und Anerkennung erfahren, ohne aber selbst zu geben. Sie wünschen, dass der Partner sie glücklich macht, obwohl sie selbst nicht mit sich glücklich sind. Wie also finden wir als Ehepaar die wahre Liebe, eine Liebe, die Bestand hat und unser Herz wirklich erfüllt?

„Gott ist Liebe“ – mit diesen Worten beschreibt der Apostel Johannes das Wesen und Geheimnis Gottes. Und als Abbild dieser Liebe, so sagt das Buch Genesis, sind wir Menschen geschaffen: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Konkret bedeutet das: Wir sind nach „Gottes Bauplan“ erschaffen, welcher tief in unser Herz eingeschrieben ist. Wir sind zu einer tiefen Freundschaft mit Gott, der ja die Fülle der Liebe ist, eingeladen. Mehr noch: Gott kommt mit seiner ganzen Kraft und Liebe zu uns. Weil Jesus dieses Ja Gottes ist, ist er die Quelle der Liebe, damit wir uns als Ehepaar selbst und einander immer tiefer annehmen können. Der heilige Johannes Paul II. drückt das in Redemptor Hominis 10 so aus: „Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben. Er bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet, wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält.“

Kennen wir das nicht aus eigener Erfahrung: Ich kann nur geben, was ich habe. Oder umgekehrt: Damit ich mich schenken kann, muss ich mich zuerst empfangen. Das nennt Johannes Paul die „Logik des Schenkens“. Das Geniale ist: Das Geschenk bin ich selber! Jeder Mensch hat seinen verborgenen Lebensanfang zuallererst in Gottes schöpferischer Liebe. Gott hat mich aus frei geschenkter Liebe ins Leben gerufen: Ich bin von ihm zuerst und um meiner selbst willen gewollt und geliebt. Gott bejaht zu tiefst mein Sein, er sagt Ja zu mir. Auf diesem Fundament kann mein Leben sicher ruhen. In Freude über diesen Ursprung kann ich mich dann selbst als ein Geschenk von Gott empfangen. Ich darf mit Dank und Staunen auf das Wunder meines Lebens schauen und das sein, was ich für Gott bin: Das Kind des Vaters, der die Liebe ist.

Nur wer sein Leben hingibt, wird es gewinnen
In der Logik des Schenkens folgt jetzt der zweite Schritt: Als Abbild Gottes sind wir für die Hingabe geschaffen: Aus Liebe gewollt, verwirklichen wir uns selbst dann, wenn wir uns verschenken. Nur indem wir uns selbst geben, können wir glücklich werden und uns selbst finden. Welche Erfahrungen mache ich damit? Wenn ich mich selbst verschenke, wird mein Leben weit und hell. Wenn ich dagegen versuche, mein Leben ängstlich zu bewahren, bleibe ich im „Gefängnis meiner selbst“ und es fehlen oft die tiefe Freude und das Glück. Es ist ein verbreiteter Irrtum, Liebe nur mit einem Gefühl gleichzusetzen. Das „Verliebtheitsgefühl“ wird durch das Proenzym Phenylethylamin, das in unserer Nebenniere gebildet wird, ausgelöst. Es hat also einen biologischen Ursprung und hat somit auch recht wenig mit Liebe zu tun. In Wirklichkeit ist Liebe eine Entscheidung und eine Gabe. Jemanden wahrhaftig zu lieben heißt, sich dieser Person zu schenken. Das Sich- Schenken gilt der Person in ihrer Ganzheit, mit Leib und Seele. Dies kann viele Gesichter haben: vom verstehenden Zuhören, der tröstenden Umarmung bis hin zur geschlechtlichen Vereinigung in der Ehe.

Manche Menschen tun sich schwer, sich selbst als ein kostbares Geschenk zu erfahren. Ihre Grundüberzeugung lautet: „Ich bin nichts, kann nichts, tauge nichts.“ In der Folge ist es für sie schwierig, sich in Liebe dem anderen zu geben. Ich kann nur schenken, was ich selbst besitze. Denn nur wer sich selbst besitzt – so Johannes Paul II. – kann sich zu einem aufrichtigen Geschenk für den andern machen. Denn: Identität ist eine Voraussetzung für Intimität. Nur wer weiß, wer er selbst ist, kann sich an ein Du binden und sich ganz schenken.



Anmerkung der Redaktion:

Der vorliegende Beitrag ist von Corbin Gams. Wir danken für die Möglichkeit seine Gedanken zum Thema Anthropologie, Liebe und Sexualität veröffentlichen zu dürfen. (Erstveröffentlichung bei „Die Tagespost“)


Der Autor

Corbin Gams wurde 1966 in Wäschenbeuren (Kreis Göppingen) geboren. Nach seinem Theologiestudium arbeitete er in verschiedenen Gemeinden und kirchlichen Projekten. Der Theologe ist Leiter des  Studienganges „Theologie des Leibes“ an der päpstlichen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz. Zudem ist er gefragter Referent für Themen rund um die Familie und die Theologie des Leibes in allen deutschsprachigen Ländern. Der Studiengang selbst ist in der Trägerschaft der „Initiative Christliche Familie“ der österreichischen Bischofskonferenz.


Buchtipp:

Das Buch „Eine Vision von Liebe“ von Birgit und Corbin Gams bietet eine gute Einführung in die Gedanken von Johannes Paul II. und seiner Theologie des Leibes.

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