Die Sprache des Leibes
Johannes Wieczorek
Die Sprache des Leibes
Jeder, der einmal ein Instrument angefangen hat zu erlernen oder spielt, kennt das: Bevor man ein Instrument beherrscht, steht ein langer und manchmal auch herausfordernder Prozess des Lernens. Wenn man beispielsweise Klavierunterricht nimmt, ist klar, dass man nicht nach fünf Unterrichtsstunden das Instrument vollends spielen kann. Am Anfang steht erst einmal das Erlernen der Noten und der unterschiedlichen Notensysteme, dann folgen Übungen, dann die ersten kleinen Stücke bis hin zu umfangreicheren Werken nach einigen Jahren.
Bei einem Instrument ist es ähnlich wie bei einer Sprache. Man könnte sagen die einzelnen Noten sind wie das Alphabet. Am Anfang muss man – wenn man die Buchstaben nicht kennt – diese erst einmal erlernen. Durch Übung lernt man dann einzelne Worte, Sätze und irgendwann kann man genau das ausdrücken, was man sagen will.
Und ähnlich verhält es sich mit unserem Leib. Der Leib ist mehr als die rein körperliche Materie. Der Leib ist Körper, Geist und Seele. Erst hierdurch wird der Mensch fähig sein Person-Sein auszudrücken. Die innere Wirklichkeit wird sichtbar durch die äußere.
Johannes Paul II. sagt: „Der Leib und nur er, kann das Unsichtbare sichtbar machen: das Geistliche und das Göttliche.“
Für den Papst ist der Leib das ursprünglichste Sakrament, also ein sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit. Der Leib macht die Person erst sichtbar. Er ist ein Geschenk von Gott an jeden einzelnen.
Umgekehrt ist jedoch auch klar: Jemanden in die Arme zu nehmen oder jemanden zu schlagen, sind nicht nur „Äußerlichkeiten“; sie betreffen die ganze Person, nicht nur den Körper. So drücke ich durch meine Handlung mein Verhältnis zur jeweils anderen Person aus.
Die bräutliche Bedeutung des Leibes
Für Johannes Paul steht fest: Der Mensch ist zur Liebe berufen. In seiner Theologie des Leibes prägt der polnische Papst die Bezeichnung der bräutlichen Liebe. Damit meint er nichts anderes als die Fähigkeit der Ganzhingabe
an den anderen. Die tiefste Sehnsucht des Menschen ist Liebe zu empfangen und Liebe zu schenken. Der Mensch ist berufen Geschenk für den anderen zu werden. Hierbei wird die Berufung des Menschen deutlich und erst hier erfüllt sich das wahre Menschsein. Der Mensch ist zu mehr berufen als für die eigene Befriedigung den anderen zu benutzen, den anderen für die eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte zu instrumentalisieren. Die Erfahrung, dass wir von Gott geliebt werden, so wie wir sind, mit allen Ecken und Kanten, mit allem Guten und Schönen kann mehr und mehr zu einer Wirklichkeit unseres Lebens werden. Diese Erfahrung ist letztlich die „Gegenerfahrung“ zur Ursünde von Adam und Eva. Denn das, was die Schlange den ersten Menschen einflüstert, ist die Lüge, dass Gott etwas zurückhält; dass er nicht will, dass der Mensch glücklich ist. Die Konsequenz ist folglich diese: Wenn Gott mir nicht gibt, was ich zum glücklich werden brauche, dann nehme ich es mir selbst.
Erst wenn wir Gott als ungetrübte Liebe
erfahren, konkret in unserem Leben, dann können wir erahnen, dass eine Liebe des Sich-Schenkens
nicht die Aufgabe, nicht die Auflösung der eigenen Person bedeutet. Vielmehr findet sich der Mensch dort in seiner wahren Größe. Erst jetzt kann er sich vollends selbst erkennen.
Der Leib: Instrument der bräutlichen Liebe
Der Leib kann also als Instrument der bräutlichen Liebe bezeichnet werden. Und nach Johannes Paul II. besitzt der Leib auch eine eigene Sprache.
Jeder kennt die Spannung und Dynamik in Beziehungen und im Besonderen die Anziehungskraft des jeweils anderen Geschlechts. Gerade im Bereich Liebe und Sexualität und in der Beziehung zwischen Mann und Frau hat die Sprache des Leibes
eine zentrale Bedeutung.
Die Kirche definiert die christliche Ehe als den Ort der körperlichen, sexuellen Liebe. Wieso?
Die Gesellschaft kennt diese vermeintliche Einschränkung der gelebten, intimen Sexualität schon seit vielen Jahren nicht mehr. Treu dem Motto von Friedrich II.: „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.“ soll jeder leben, wie er es für richtig hält. Und nicht zuletzt hatte die sexuelle Revolution 1968 keinen geringeren Anspruch als die „freie Liebe“. Doch wie frei ist der Mensch heute?
Der Leib ist Instrument der bräutlichen Liebe, er kann jedoch auch instrumentalisiert werden. Johannes Paul II. bezeichnet den Leib und die sexuelle Vereinigung als „prophetisch“; sie verkünden also die Botschaft Gottes. Denn der Prophet ist das Sprachrohr Gottes. Doch der Papst warnt: Wir müssen zwischen den wahren und den falschen Propheten unterscheiden. Denn zum einen können wir mit dem Leib die Wahrheit sprechen, aber wir können auch lügen – denken wir beispielsweise an den Kuss von Judas. Aber auch die menschliche Liebe kann korrumpiert werden. Die Begierde bezieht sich auf das sexuelle Verlangen, verkürzt jedoch die wahre und ursprüngliche Fülle der geschlechtlichen Liebe wie sie von Gott her gedacht wurde. Die Begierde sucht die eigene Befriedigung auf Kosten der anderen Person. Diese egoistische Sicht verdunkelt den Blick für den anderen und macht blind für die Selbsthingabe. Er wird zum "Werkzeug" meiner Suche nach Glück, nach Liebe, die jedoch ins Leere läuft.
Erst wenn sich der Mensch von Gott her versteht und erkennt, eröffnet sich für ihn die volle Dimension seines Wesens, seines Seins und seiner Berufung. Dabei stellt sich folglich auch die Frage, welches Wesen Gott hat und zu was wir berufen sind.
Kurz gesagt: Gott ist die Liebe und er bildet eine ewige Liebesgemeinschaft zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist. Eben zu dieser Liebe ist der Mensch berufen.
Wie hat Christus geliebt?
Die göttliche Liebe kann mit vier Wesensmerkmalen definiert werden:
- Christus gibt seinen Leib freiwillig für uns hin. „Niemand entreißt es [mein Leben] mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin“, Joh 10, 18.
- Christus gibt sich
bedingungslos, also uneingeschränkt
und ohne Vorbehalte
hin. Er erwies ihnen „seine Liebe bis zur Vollendung“, Joh 13, 1.
- Treu: Dabei gibt es keine zeitliche Einschränkung. Die göttliche Liebe gilt für immer: „Ich bin bei euch alle Tage“, Mt 28, 20.
- Fruchtbar: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben“, Joh 10, 10.
Auch wir sind zu eben dieser Liebe gerufen. „Der Mensch wird nicht so sehr im Augenblick seines Alleinseins als vielmehr im Augenblick der Gemeinschaft zum Abbild Gottes.“, sagt Johannes Paul. Einen hervorragenden Ort dieser Gemeinschaft bildet die christliche Ehe. Dabei können wir die Wesensmerkmale der göttlichen Liebe auch in dieser Verbindung zwischen Mann und Frau finden:
Wenn die Braut und der Bräutigam vor dem Altar stehen, fragt der Priester oder Diakon zusammengefasst: Seid ihr aus freiem Entschluss
und ohne Vorbehalte
hierhergekommen, um den Bund der Ehe (den Bund der gegenseitigen Hingabe) einzugehen? Versprecht ihr euch die Treue
bis in den Tod? Seid ihr bereit die Kinder anzunehmen, die Gott euch schenken will?
Das Brautpaar bestätigt diesen Bund mit seinem öffentlichen Bekenntnis. Sein „Ja“ zueinander wird jedoch erst im gegenseitigen Sich-Schenken
im ehelichen Akt gültig und erfüllt. Hier drückt der Leib eben dieses Versprechen aus. Hier tut sich die ganze Sprache des Leibes
kund.
Damit wird deutlich, dass die Lehre der Kirche im Bereich der Liebe und Sexualität nicht eine Liste von Verboten ist, die den Menschen einschränken will. Vielmehr tut jene Lehre die wahre Bedeutung der menschlichen und insbesondere der ehelichen Beziehung kund. Es ist der Appell zu einer Liebe, die Gott selbst in unser Herz geschrieben hat und die der Würde des Menschen entspricht. Wir sind berufen Abbild Gottes zu sein und gerade durch die bräutliche Liebe
wird das Realität.
„Der Mensch ist eben deshalb Person, weil er sich selbst besitzt und Herr über sich selbst ist. Sofern er sich selbst besitzt, kann er sich dem anderen schenken.“ (123. Katechese)